Mitarbeiterbindung: Die Grundlagen

Bevor ein Unternehmen neue Wege in der Mitarbeiterbindung geht, sollte die Personalabteilung zusammen mit dem Management die Ist-Situation analysieren. Realismus ist dabei angebracht.

von Michael Vogel

Zu fast jedem Problem gibt es eine Studie. Auch zur Mitarbeiterbindung. Der Personaldienstleister Robert Half zum Beispiel hat im “Workplace Survey” mehr als 3000 Personal- und Finanzmanager in 13 Ländern – auch in Deutschland – zu Karrieretrends befragt. Ergebnis: Nahezu ein Drittel der teilnehmenden Firmen, so Robert Half, biete keine Anreize, um Leistungsträger möglichst lange im Unternehmen zu halten. Und wenn es spezielle Angebote gebe, wichen diese stark von den Wünschen der Arbeitnehmer ab.

Was hält Mitarbeiter im Unternehmen?

Dabei unterscheiden sich die Wünsche der Beschäftigten im Grunde gar nicht so stark voneinander, das belegen Untersuchungen immer wieder. Bereits vor elf Jahren haben zum Beispiel Managementberater der Hay Group analysiert, welche Gründe Beschäftigte vor allem anführen, um einen Verbleib bei ihrem Arbeitgeber zu begründen. Als da wären:

  • Karrieremöglichkeiten durch persönliche Entwicklung und Weiterbildung
  • spannende Aufgaben und Herausforderungen
  • mit der eigenen Arbeit einen echten Beitrag leisten zu können
  • nette Kollegen
  • funktionierende Teams
  • gute Vorgesetzte
  • Anerkennung für gute Leistungen
  • Autonomie und Eigenverantwortung
  • flexible Arbeitszeiten
  • faire Vergütung und Benefits

Ganzheitliches Konzept

“Wer die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen steigern möchte, muss seine Aktivitäten in ein ganzheitliches Konzept einbetten”, sagt Sophia von Rundstedt, Geschäftsführerin der Personalberatung von Rundstedt HR Partners. Das beginne bereits beim Recruiting, betreffe Entwicklungsmöglichkeiten, und gehe über Anreiz- und Vergütungssysteme sowie regelmäßige Mitarbeitergespräche bis zum Exit-Interview mit scheidenden Beschäftigten.

Mit Zahlen ist dem Thema Mitarbeiterbindung dagegen nur mit Vorsicht näher zu kommen, wie Wolfgang Degreif, Geschäftsführer der Unternehmensberatung SEPB Consulting, schon erleben musste: “Eine Firma, die wir berieten, legte mir dar, dass man bereits eine hohe Mitarbeiterbindung erreicht habe – was sich ja sehr gut an der geringen Fluktuationsrate ablesen lasse. Als ich aber aus dem Fenster des Büros meines Gesprächspartners hinausschaute, sah ich ringsum nur Berge und Wälder.”

Wenn der Chef vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht

Mit anderen Worten: selbst wenn die Beschäftigten bereit zum Wechsel gewesen wären, hätten sie in dem strukturschwachen Raum kaum Alternativen gefunden. “Die geringe Fluktuationsquote ließ sich schon allein dadurch erklären”, so Degreif.

Doch es gibt noch andere Paradoxien, die die Aussagekraft einer geringen Fluktuationsquote in Frage stellen, wie Gunther Wolf, Managementberater bei der Wolf I.O. Group, weiß: “Schon mehrfach ließ sich mit Untersuchungen belegen, dass selbst Belegschaften mit einer geringen Bindung an ihr Unternehmen eine hohe Verweilrate aufweisen.” Oft lasse sich dieses Verhalten durch sekundäre Vorteile erklären, etwa durch eine vermeintlich hohe Arbeitsplatzsicherheit – bedingt durch Unternehmensgröße und Betriebsrat – oder durch im Branchenvergleich höhere Bezüge.

Höhere Bindungsbereitschaft bei Frauen

“Es gab auch schon Fälle, in denen Konzerne High Potentials von kleineren Firmen abgeworben haben, sie mit den Karriereperspektiven lockten, nur um dann festzustellen, dass die neuen Hoffnungsträger sich im Lauf der Zeit zu bloßen Mitläufern entwickelten.” Das Umfeld in der Organisation bestimmt die Identifikation der Beschäftigten also maßgeblich mit.

Belegt sei, dass die Bindungsbereitschaft bei Frauen grundsätzlich höher als bei Männern sei, so Wolf. Und es sei leichter etwas ältere Mitarbeiter zu binden als ganz junge. “So ab etwa 35 Jahren wird es einfacher, weil mit der Gründung einer Familie die Menschen sesshafter werden.” Ansonsten muss jedes Unternehmen aber individuell analysieren, wie es um die Mitarbeiterbindung bestellt ist.

Die Lehre von den richtigen Rahmenbedingungen

Manche kleineren und mittelständischen Unternehmen tun sich besonders schwer, gewisse Rahmenbedingungen für eine Mitarbeiterbindung zu schaffen. “Sie haben keine bekannten Marken, womöglich einen Standortnachteil, häufig unkreative Vergütungsmodelle und – um Ressourcen zu sparen – keine funktionierende Personalentwicklung”, sagt Sophia von Rundstedt. “Aber sie weisen schnellere Entscheidungswege auf, und die Mitarbeiter sind durch die flachen Hierarchien näher an der Geschäftsleitung dran.” Das seien Vorteile, durch die es vielen Beschäftigten leichter falle, sich als Einzelner wahrgenommen und wertgeschätzt zu fühlen und sich mit dem Unternehmen zu identifizieren.

Auch Wolfgang Degreif rät den Personalabteilungen kleinerer Unternehmen, sich auf ihre Stärken in punkto Mitarbeiterbindung zu besinnen. “Wenn als Indiz für die Entwicklungsmöglichkeiten nicht nur die Zahl der zu führenden Mitarbeiter herangezogen wird, sondern auch die Verantwortung, die ein Beschäftigter übernehmen kann, haben kleinere Unternehmen sogar Vorteile”, so Degreif. Schließlich seien Potenzialträger dort oft für Gesamtprozesse und große Projekte verantwortlich – das könne ihnen nicht jeder Konzern bieten. Mitarbeiterbindung kann also bei jeder Unternehmensgröße funktionieren.